Viren und Wir (14): Warum die Fledermaus ein Paradies für Viren ist

Fledermäuse sind faszinierende Tiere. Sie machen ein Viertel aller Säugetierarten aus. Sie sind die einzigen Säugetiere, die fliegen können. Dabei orientieren Sie sich über eine ausgeklügelte Art der Echo-Ortung. Und sie sind ein Paradies für Viren. Die Tollwut, Ebola, SARS und andere gefährliche Viruserkrankungen haben ihren Ursprung in Fledermäusen. Wahrscheinlich auch COVID-19. Das Faszinierende: Die meisten dieser Viren machen den Fledermäusen nichts aus. Trotz Infektion zeigen sie keine Krankheitssymptome. Das liegt an bestimmten Anpassungen ihres Immunsystems. Im BiOfunk betrachten wir, warum gerade Fledermäuse so viele Viren in sich tragen und was die Fähigkeit zu Fliegen damit zu tun hat … 

Die Bedeutung der Immunreaktion bei Infektionen mit Viren
Zoonosen sind Erkrankungen, die von Tieren auf den Menschen übergesprungen sind. Es gibt unzählige Beispiele: AIDS, Ebola, die Grippe, COVID-19 und so weiter. Tierische Krankheitserreger stellen eine große Gefahr für die Gesundheit des Menschen dar. Für unser Immunsystem sind es neue, bisher unbekannte Erreger. Es gibt noch keine Antikörper und keinen Immunschutz. Deshalb kann sich jeder Mensch infizieren. Unter Umständen kann das zu einer weltweiten Ausbreitung, einer Pandemie führen. Fledermäuse sind nicht die einzigen Tiere, die gefährliche Erreger auf den Menschen übertragen können. HIV kam zum Beispiel von Schimpansen und anderen Affen, die Grippe wird von Vögeln und Schweinen übertragen. Aber Fledermäuse nehmen dennoch eine Sonderrolle ein. Keine Tiergruppe trägt so viele gefährliche Viren in sich. Besonders Coronaviren sind weit verbreitet. Dennoch erkranken die Fledermäuse in der Regel nicht an ihren Viren. Das liegt an einer besonderen Konfiguration ihres Immunsystems. Es fehlt noch das komplette Bild, doch aktuelle Forschungen geben erste Einblicke. Das Immunsystem der Fledermäuse reagiert zum einen schneller auf Viren. Bestimmte Abwehrsysteme sind dauerhaft angeschaltet, wenn auch auf geringem Niveau. Sobald eine Virusinfektion stattfindet, kann schnell reagiert werden. Deutlich schneller als z.B. beim Menschen. Dort müssen die Abwehrsysteme jedes Mal erst angeworfen werden. Und das dauert. Mindestens genauso wichtig ist eine weitere Eigenart des Fledermaus-Immunsystems. Die Immunreaktion wird besser unter Kontrolle gehalten. Ein Überschießen wird vermieden. Und das ist ein wichtiger Schutzmechanismus bei Infektionen mit Viren. Denn oftmals schädigt das eigene Immunsystem bei der Bekämpfung der Viren den eigenen Körper. Die Immunabwehr von Krankheitserregern ist immer eine Gradwanderung. Denn das Immunsystem ist bestückt mit gefährlichen Waffen, die auch die eigenen Zellen schwer schädigen können. Das ist auch notwendig, denn Viren vermehren sich in Körperzellen. Diese virusinfizierten Zellen müssen zerstört werden. Doch andere gesunde Zellen eben nicht. Und diese Gradwanderung geht nicht selten schief. Eine überschießende Reaktion kann sogar tödlich sein. Menschen sterben dann nicht direkt am Virus, sondern am überreagierenden Immunsystem. Bei der Spanischen Grippe vor 100 Jahren war dies häufig die Todesursache. Auch bei den schweren Verläufen einer COVID-19-Erkrankung ist die überschießende Immunreaktion das Problem. Hier reagiert das Immunsystem der Fledermäuse offenbar anders. Es kommt zwar zu einer schnellen und massiven Reaktion gegen eindringende Viren. Doch dann wird die Immunreaktion rasch gedämpft. Damit werden mögliche negative Folgen verhindert. Der zugrundeliegende Mechanismus wird momentan erforscht. Schauen wir uns aktuelle Erkenntnisse an.

Das STING-Protein: Erkennung und Bekämpfung von virusinfizierten Zellen
Das sogenannte STING-Protein findet man in vielen Säugetieren. Es hilft dabei, eine Virusinfizierte Zelle zu erkennen und das Immunsystem anzuschalten. Das funktioniert folgendermaßen: Das STING-Protein reagiert auf freie DNA im Cytoplasma. Denn in gesunden Zellen sollte sich dort keine DNA befinden. DNA, also das Erbgut, ist im Zellkern weggeschlossen, und in geringen Mengen findet man DNA in den Mitochondrien. Aber wie kommt dann DNA ins Cytoplasma? Durch bestimmte Viren. Sie haben DNA als Erbgut. Bei einer Infektion übertragen sie ihr Erbgut in die Zelle und so gelangt DNA ins Cytoplasma. Das STING-Protein reagiert auf DNA im Cytoplasma, denn das ist ein deutliches Zeichen, dass mit der Zelle etwas nicht stimmt. Als Reaktion sorgt das STING-Protein für die Freisetzung von Botenstoffen, die das Immunsystem ankurbeln. Immunzellen werden aktiviert und töten die virusinfizierten Zellen. Auch Fledermäuse haben das STING-Protein. Doch es ist weniger aktiv. Das liegt an einer Mutation im Gen, das den Bauplan für das STING-Protein enthält. Diese Mutation sorgt dafür, dass an einer bestimmten Stelle im Protein eine andere Aminosäure eingebaut wird. Diese Veränderung verringert die Aktivität des STING-Proteins. Damit wird das Immunsystem nicht so stark angeregt und eine Überreaktion wird vermieden. Diese Mutation findet sich in allen untersuchten Fledermausarten. Man kann davon ausgehen, dass sie für Fledermäuse von Vorteil ist. Doch warum? Es ist zwar gut, wenn das Immunsystem nicht überreagiert, andererseits ist die Erkennung und Bekämpfung von virusinfizierten Zellen wichtig fürs Überleben. Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Mutation des STING-Proteins nur indirekt mit der Abwehr von Viren zusammenhängt. Sondern vielmehr mit der besonderen Lebensweise der Fledermäuse. Genauer mit ihrer Art sich Fortzubewegen: Dem Fliegen. Fledermäuse sind die einzigen Säugetiere, die aktiv fliegen können. Und das hat viele Vorteile. Sie können sich schnell fortbewegen und eine ökologische Nische besetzen, die sonst Säugetieren verschlossen bleibt: Den Luftraum. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten, um an Nahrung zu kommen. Doch trotz dieser Vorteile fliegen nur Fledermäuse, sonst kein einziges Säugetier. Fliegen ist nämlich eine sehr aufwendige Fortbewegungsart. Das muss man sich leisten können. Der Energieverbrauch ist enorm. Die Stoffwechselrate von Fledermäusen ist 3x so hoch wie bei anderen Landsäugetieren. Innerhalb eines Tages verbrauchen Fledermäuse 50 % ihrer gespeicherten Energie. Deshalb sind sie auf energiereiche Nahrung angewiesen. Einige Arten ernähren sich z.B. von zuckerhaltigen Blütennektar. Und bereits 8 Minuten nach einer Nektarmahlzeit ist die Energie schon wieder aufgebraucht. Fliegen ist teuer. Und purer Stress für den Körper. 

Evolutionäre Anpassungen an das Fliegen
Das Herz einer Fledermaus muss einiges aushalten. Während des Fluges schlägt es bis zu 1000-mal in der Minute. Ich wiederhole 1000-mal. Im Ruhezustand sinkt die Rate dann auf 200-mal pro Minute. Der Flug lässt auch die Körpertemperatur steigen: von 37 auf bis zu 41 Grad. Einige Wissenschaftler spekulieren, dass dieses diese hohe Temperatur wie eine Art von Fieber bei der Abwehr von Viren helfen könnte. Auch auf Ebene der Zellen macht sich die Belastung bemerkbar. Dort laufen die Mitochondrien, die Kraftwerke der Zelle, auf Hochtouren, um die benötigte Energie zu erzeugen. Dabei häufen sich aber auch Nebenprodukte an, die großen Schaden anrichten können. In beschädigten Zellen wird DNA aus dem Zellkern oder den Mitochondrien freigesetzt. Und gelangt ins Cytoplasma. Und jetzt sind wir wieder beim STING-Protein. Das reagiert ja auf DNA im Cytoplasma und aktiviert das Immunsystem. Die Folge ist eine Entzündungsreaktion. Das ist sinnvoll, wenn die DNA durch gefährliche Viren ins Cytoplasma gekommen ist. Die Entzündungsreaktion hilft bei der Bekämpfung. Doch bei Fledermäusen ist das ein Nebeneffekt des Fliegens. Zellen werden geschädigt und DNA wird freigesetzt. Eine Entzündungsreaktion wäre fehl am Platze. Es gibt nichts zu bekämpfen und ein ohne Grund aktiviertes Immunsystem kann mehr Schaden anrichten als dass es hilft. Mit dieser Überlegung kann man die Mutation der STING-Proteine in Fledermäusen erklären. Die Veränderung sorgt dafür, dass das STING-Protein weniger empfindlich ist. Bis zu einem gewissen Grad wird die DNA-Freisetzung toleriert. Eben weil sie ein Nebeneffekt des Fliegens ist. Man geht davon aus, dass es noch weitere derartige Anpassungen in Fledermäusen gibt, ja sogar geben muss. Denn diese Tiere kommen sehr gut mit der schädlichen Fortbewegungsart klar. Das sieht man an ihrer Lebenserwartung. Fledermäuse leben im Schnitt mehr als dreimal so lange, wie andere Säugetiere vergleichbarer Größe. 

Der Mensch als Risikofaktor: Ausbreitung von neuen Krankheitserregern
Das besondere Immunsystem der Fledermäuse könnte also eine Anpassung an das Fliegen sein. Und dass sie dadurch ein Paradies für Viren sind, ist wohl nur ein Nebeneffekt. Ein Nebeneffekt mit großen Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen. Durch die gedämpfte Immunreaktion können Fledermäuse gut mit ihren Viren leben. Und diese auf den Menschen übertragen. Oder auf ein anderes Tier, von dem das Virus dann auf den Menschen überspringt. Wie wahrscheinlich im Fall von COVID-19. Doch das eigentliche Problem sind nicht die Fledermäuse. Sie sind faszinierende Tiere mit vielfältigen Aufgaben in Ökosystemen weltweit: Sie bestäuben Pflanzen und helfen bei der Verbreitung von Samen. Außerdem fressen sie Insekten und sorgen dafür, dass diese nicht überhandnehmen. Der Mensch ist das Problem, denn er hält nicht den notwendigen Abstand und erhöht so die Wahrscheinlichkeit für ein folgenreiches Zusammentreffen. Mit einer Fledermaus oder einem anderen Tier. Der Mensch dringt immer mehr in die Natur vor. Städte breiten sich aus, auf Kosten funktionierender Ökosysteme. Diese werden auch durch den Klimawandel bedroht. Ein weiterer Risikofaktor ist der Handel mit Wildtieren. Auf Märkten werden verschiedenste exotische Arten gehandelt. Entweder als exotisches Schmankerl oder als schnuckeliges Haustier. Ein solcher Markt in der chinesischen Stadt Wuhan könnte eine Rolle bei der Ausbreitung von COVID-19 gespielt haben.

Fakt ist: In der Natur gibt es neue potenzielle Krankheitserreger. In Fledermäusen, Affen, Vögeln und anderen Tieren. Die entscheidende Frage ist, wie wir damit umgehen. Die natürlichen Lebensräume der Tiere sollten geschützt werden. Und es sollte möglichst wenig Kontakt zwischen exotischen Tieren und dem Menschen geben. Das hört sich einfach an, doch die Realität ist eine andere. Eine erneute Übertragung eines bisher unbekannten Krankheitserregers auf den Menschen ist vielleicht nur eine Frage der Zeit. Doch diese Zeit müssen wir jetzt nutzen. Damit wir beim nächsten Mal besser vorbereitet sind.

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