Viren und Wir (02): Robert Koch und das Rätsel der Cholera

Die Cholera ist eine fürchterliche bakterielle Durchfallerkrankung. Sie ist nicht vergleichbar mit einer gewöhnlichen Magen-Darm-Grippe. Cholera-Patienten haben keine Durchfälle, sondern sturzbachartigen Entleerungen mit hohem Flüssigkeitsverlust. Bis zu 20 Liter Flüssigkeit verlieren verliert man durch Durchfall und Erbrechen an einem Tag. Bei einem Blutvolumen von gerade einmal 5 Litern kann dieser Flüssigkeitsverlust lebensgefährlich sein. Unbehandelt sterben 50% der Erkrankten an der Cholera und das oftmals innerhalb eines Tages. Der Infektionsweg und die Ursache der Cholera wurden Ende des 19. Jahrhunderts aufgeklärt. Als Entdecker gilt der große Mikrobiologe Robert Koch. Doch zwei andere Wissenschaftler haben bereits vor Robert Koch wichtige Erkenntnisse zur Ursache der Cholera zusammengetragen.

Im 19. Jahrhundert war die Cholera eine große Bedrohung. Immer wieder kam es zu Ausbrüchen mit vielen Toten. Zur Ursache der Cholera gab es zwei widerstreitende Theorien: Die Keimtheorie besagte, dass bestimmte Mikroorganismen Krankheiten auslösen. Die zweite Theorie sah Miasma als Auslöser. Miasma steht für schlechte Luft oder vergiftete Dämpfe. Anhänger der Miasma-Theorie gingen davon aus, dass verrottendes verfaulendes Material kleine Partikel in die Luft abgibt. Dies verursacht den Gestank und außerdem können hierüber Krankheiten übertragen werden. Damit konnte man erklären, warum die Cholera vor allem in Armenvierteln ausbrach. Schmutz und Gestank waren dort schließlich allgegenwärtig.

Mitte des 19. Jahrhunderts war die Miasma-Theorie eindeutig vorherrschend, die Keim-Theorie dagegen kaum anerkannt. Den Zusammenhang zwischen Gestank und Krankheiten konnte jeder erkennen. Aber dass kleine, mit dem bloßen Auge nicht sichtbaren Organismen Krankheiten verursachen sollen, war schwer vermittelbar.

Die Cholera in Soho und Palermo

1854 brach mal wieder die Cholera aus, und zwar im Londoner Stadtteil Soho. Der britische Chirurg John Snow wollte die Ursache dieses Ausbruchs ermitteln. Er markierte die Cholera-Fälle auf einem Stadtplan und machte eine erstaunliche Entdeckung. Die meisten Cholera-Fälle gruppierten sich um einen öffentlichen Brunnen. Es gab 13 öffentliche Wasserpumpen im Viertel. Die mit Abstand meisten Fälle waren in der direkten Umgebung der Broad-Street-Wasserpumpe zu verzeichnen. John Snow untersuchte das Wasser aus der Pumpe und den Stuhl betroffener Patienten. In beiden Fällen konnte er mikroskopisch kleine Organismen nachweisen.

Die Erkenntnisse fügten sich zu folgendem Bild: Offenbar wurde die Cholera durch mit Mikroorganismen verschmutztes Wasser übertragen. Das Wasser der Broad Street Pumpe war verschmutzt, im Gegensatz zum Wasser der anderen Pumpen. Deswegen kam es zur Häufung der Cholera-Fälle rund um diese Pumpe. Er schlug vor, diese Pumpe stillzulegen. Durch diese Maßnahme konnte die Anzahl der Cholera-Erkrankungen in Soho deutlich gesenkt werden. Snows Untersuchungen waren klare Belege für die Keimtheorie. Dennoch wurden seine Entdeckungen nicht ernst genommen und gerieten in Vergessenheit.

Nicht nur in London wütete im Jahr 1854 die Cholera, auch in Florenz. Dort stellte der italienische Anatom Filippo Pacini Untersuchungen zur Ursache der Cholera an. Er analysierte die Darmschleimhaut von Verstorbenen unter Mikroskop, außerdem Stuhlproben. Hierbei stellte er Gemeinsamkeiten fest: Sowohl die Darmschleimhaut als auch die Stuhlproben enthielten unzählige mikroskopisch kleine, kommaförmigen Teilchen. Er nannte sie Vibrionen und stellte die Hypothese auf, dass sie die Cholera-Symptome verursachten.

Er ging davon aus, dass es sich bei Vibrionen um parasitische Elemente handelte, die sich selbst vermehren können und auf den Menschen übertragbar sind. Als Therapie schlug er die intravenöse Gabe von Kochsalz-Lösung vor. Diese Maßnahme wird noch heute bei der Behandlung von Cholera-Patienten eingesetzt. Pacinis Erkenntnisse waren revolutionär. Sie widersprachen klar der Miasma-Theorie und waren ein deutlicher Beleg für die Keim-Theorie. Dennoch blieben seine Forschungen unbekannt. Sie änderten nichts an der vorherrschenden Lehrmeinung und es sollten 30 weitere Jahre vergehen, bis die Keim-Theorie ihren Durchbruch fand.

Robert Koch bekommt einen Auftrag

1883 kam es zu einem erneuten schweren Ausbruch der Cholera, diesmal in Ägypten. Es gab Befürchtungen, dass die Seuche auf Europa übergreifen könnte. Deshalb wurde Robert Koch nach Ägypten geschickt, um die Ursache der Cholera zu erforschen. Robert Koch war zu dieser Zeit bereits ein berühmter und anerkannter Wissenschaftler. Er hatte bereits große Entdeckungen im Bereich der Mikrobiologie gemacht. Am Beispiel der Erkrankung Milzbrand konnte er zum ersten Mal eindeutig nachweisen, dass eine Krankheit von einem bestimmten Bakterium ausgelöst wird. Außerdem klärte er die Ursache der Tuberkulose auf. Er konnte zeigen, dass auch hierfür bestimmte Bakterien verantwortlich sind. Zudem hatte er wichtige Labormethoden zur Erforschung von Bakterien entwickelt. Er erfand das Verfahren der Reinkultur. Dadurch wird erreicht, dass nur eine bestimmte Bakterienart auf einer Agarplatte wächst. Mit diesem Verfahren konnte er nachweisen, dass bestimmte Bakterien für bestimmte Krankheiten verantwortlich sind.

Im Jahr 1883 traf die Gruppe um Robert Koch in Alexandria ein. Er führte viele Autopsien durch und konnte dabei ein Komma-förmiges Bakterium identifizieren. Dieses Bakterium war nur in Patienten nachweisbar, die an der Cholera gestorben waren, in Menschen mit anderen Darmerkrankungen dagegen nicht. Dies war ein erster wichtiger Hinweis auf den Erreger der Cholera.

Die Epidemie in Alexandria ebbte schnell wieder ab. Die Wissenschaftler hatten nun keine Versuchsobjekte mehr, deshalb konnten die Forschungen hier nicht fortgeführt werden. Kurz darauf kam es zu einem Ausbruch der Cholera in Kalkutta, Indien. Ende 1883 begab sich die Forschergruppe dorthin und führte ihre Untersuchungen fort. Robert Koch gelang es nun zum ersten Mal, eine Reinkultur des Bakteriums anzulegen. Dies ermöglichte eine genaue mikroskopische Untersuchung. Zudem konnte er den Krankheitsverlauf besser nachstellen. Zu Beginn einer Cholera-Infektion fanden sich nur wenige Bakterien im Körper des betroffenen Menschen. Dann wuchs die Zahl sehr schnell an bis unzählige Bakterien im Darm und in Stuhlproben zu finden waren. Nach Abklingen der Erkrankung sank die Zahl der Bakterien schnell ab, bis sie vollkommen verschwanden. Außerdem gelang es Koch, das Bakterium in Wasserstellen nachzuweisen, wo eben ein neuer Cholera-Ausbruch stattgefunden hatte. Für den ultimativen Beweis hätte Robert Koch ein Tier mit den Bakterien infizieren müssen und dort hätten dann die gleichen typischen Krankheitssymptome auftreten sollen. Doch die Cholera ist auf den Menschen beschränkt, deshalb war dieser Beweis nicht möglich.

Der Infektionsweg der Cholera

Dennoch ergab sich für Robert Koch ein klares Bild. Das Bakterium befand sich in verunreinigtem Wasser. Hierüber gelangte es in den Darm des Menschen. Dort vermehrte es sich und verursachte die typischen Krankheitssymptome mit starkem Durchfall. Über die Durchfälle gelangte das Bakterium wiederum in die Wasserversorgung und damit in Kontakt mit weiteren Menschen. Kläranlagen und eine effiziente Abwasserreinigung waren damals in weiten Teilen der Welt nicht vorhanden.

Das Rätsel der Cholera war gelöst. Die Krankheit wird durch Bakterien der Art Vibrio cholerae ausgelöst und nicht durch Miasma. Und doch brauchte es viele weitere Jahre, bis die Keimtheorie allgemeine Anerkennung fand.

Warum gelang es Robert Koch, die Wissenschaftswelt zu überzeugen? Und warum misslang dies John Snow und Filippo Pacini? Pacini und Snow lieferten verschiedene Puzzle-Teile. Robert Koch gelang es zum ersten Mal, das Puzzle zusammenzusetzen und ein komplettes Bild zu zeichnen. Mit mikroskopischen Untersuchungen des Bakteriums, aber auch mit Erklärungen zur Infektionsursache. Robert Koch war außerdem ein anerkannter und berühmter Wissenschaftler. Er hat das Feld der Bakteriologie mit seinen modernen Methoden revolutioniert. Sein Wort hatte Gewicht. Um das Jahr 1883/84 war die Keim-Theorie auf dem Vormarsch. Louis Pasteur und Robert Koch hatten hierzu wichtige Arbeiten vorgelegt. Die Fachwelt kannte diese Belege für die Keimtheorie und war deshalb eher bereit, die Folgerungen von Robert Koch zu akzeptieren.

Diese Erkenntnisse halfen dabei, die Cholera zu bekämpfen. Es wurden vermehrt Kläranlagen gebaut und die Abwassersysteme der Städte optimiert. 1892 gab es in Hamburg die letzte großen Cholera-Epidemie in Deutschland mit 8000 Toten.  Leider kommt es auch in der Gegenwart immer wieder zu Cholera-Ausbrüchen, meistens in der Folge von Naturkatastrophen, wenn die Wasserversorgung und die Abwasserreinigung zusammengebrochen. Und doch hat die Cholera in den meisten Teilen der Welt ihren Schrecken verloren.

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