Viren und Wir (01): Der verkannte Held – Ignaz Semmelweis und das Kindbettfieber

Eine Krankheit fordert Tausende Todesopfer, die Ursache ist unbekannt und eine Bekämpfung nicht möglich. Ein junger Arzt nimmt sich dieser Krankheit an und erforscht mögliche Ursachen. Schließlich schlägt er kostengünstige und einfache Maßnahmen vor, um diese Krankheit zu verhindern. Er führt diese Maßnahmen in seiner Klinik ein, und innerhalb weniger Monate sinkt die Todesrate um 90 %. Die Ergebnisse sprechen für sich, dennoch stoßen diese Maßnahmen bei den meisten Ärzten auf Ablehnung.

Die vergessene Krankheit
Um die Gründe zu verstehen, müssen wir zunächst die Krankheit betrachten. Es handelt sich um das Kindbettfieber, zum Glück eine seit langem vergessene Krankheit, aber im 19. Jahrhundert eine der häufigsten Todesursachen für junge Mütter. Die Krankheit begann oft wenige Tage nach der Geburt eines Kindes. Zunächst bekamen die Frauen hohes Fieber, anschließend eitrige Entzündungen am ganzen Körper. Schließlich kam es zur unaufhaltsamen Zersetzung der inneren Organe. Diese Krankheit war oft tödlich. In manchen Kliniken starben bis zu 60 % der jungen Mütter am Kindbettfieber.

Es gab verschiedene Theorien zur Ursache der Krankheit. Die Jahreszeiten oder auch das Wetter galten als Einflussfaktoren, ebenso der Stand der Sterne. Generell galt schlechte faulige Luft als ein Auslöser von Krankheiten. Die Keimtheorie war um das Jahr 1850 noch völlig unbekannt. Sie besagt, dass Krankheiten durch Bakterien ausgelöst werden. Die stattdessen vermuteten Ursachen waren durch den Menschen kaum zu beeinflussen und deshalb galt das Kindbettfieber als schicksalhafte Erkrankung, die nicht zu verhindern war. Der junge Arzt Ignaz Semmelweis wollte sich mit diesem Zustand nicht abfinden.

Er stolperte über Statistiken, die er sich nicht erklären konnte. Bevor wir diese Statistiken betrachten, müssen wir zunächst seine Arbeitssituation kennenlernen. Er war Arzt am Allgemeinen Krankenhaus in Wien. Dort gab es zwei Abteilungen für Geburtshilfe: Die Erste Abteilung und die Zweite Abteilung. Damals war die Zweiklassenmedizin sehr ausgeprägt. Weniger wohlhabende Patientinnen gingen in die Zweite Abteilung und ließen sich von Hebammen bei der Geburt betreuen. Die betuchteren Patientinnen konnten es sich leisten, in die Erste Abteilung zu gehen, um dort von Ärzten und Medizinstudenten betreut zu werden. Jetzt zu den Statistiken: Semmelweis verglich die Todesfälle durch Kindbettfieber in beiden Abteilungen und dabei entdeckte er etwas sehr Auffälliges. In der Ersten Abteilung, die von Ärzten geleitet wurde, starben zwei bis drei Mal mehr Patientinnen am Kindbettfieber als in der zweiten Abteilung. In manchen Monaten starben 18 % der jungen Mütter am Kindbettfieber. In der zweiten Abteilung lag die Quote meistens zwischen 2 und 4 %. Werdende Mütter hatten in der Ersten Abteilung ein wesentlich höheres Risiko, am Kindbettfieber zu sterben. Und das obwohl dort eigentlich eine bessere Betreuung gewährleistet sein sollte, denn hier wurde man schließlich von Ärzten und Medizinstudenten betreut. Diese Erkenntnis war auch für Semmelweis persönlich sehr frustrierend.

Der entscheidende Unterschied
Er machte es sich zur Aufgabe, die Ursache für diesen drastischen Unterschied herauszufinden. Dafür verglich er die Erste und Zweite Abteilung. Zunächst konzentrierte er sich auf die damals gängigen Erklärungsversuche: Wetter, Jahreszeiten, schlechte faulige Luft. Und hier musste er feststellen, dass kein Unterschied zwischen den beiden Abteilungen bestand. Sie waren im gleichen Gebäude in der gleichen Stadt, entsprechend gab es die gleichen Einflüsse des Wetters und der Jahreszeiten. Das konnte also keine Erklärung sein für diesen Unterschied. Er verglich auch die Arbeitsweise in den beiden Abteilungen und stellte fest, dass in beiden Abteilungen sehr professionell und kompetent gearbeitet wurde. Die Patientinnen wurden gut betreut, sowohl von Ärzten als auch von den Medizinstudenten als auch von den Hebammen. Semmelweis kam bei seiner Ursachenforschung nicht weiter und verließ zunächst frustriert das Wiener Krankenhaus. Ein tragischer Todesfall brachte ihn dann doch auf die richtige Spur.

Ein halbes Jahr später begann Semmelweis wieder mit seiner Arbeit am Krankenhaus. Er musste erfahren, dass der Gerichtsmediziner Kolletschka verstorben war. Er studierte den Autopsiebericht und wurde stutzig. Kolletschka zeigte die gleichen Symptome wie Frauen mit Kindbettfieber: Eitrige Entzündungen am ganzen Körper, sich zersetzende Organe und schließlich der Tod. Wie konnte es sein, dass ein Gerichtsmediziner die gleiche Krankheit mit den gleichen Symptomen bekam wie Frauen, die gerade ein Kind bekommen hatten? Wenn in beiden Fällen die gleiche Krankheit vorlag, musste auch in beiden Fällen die gleiche Ursache dafür verantwortlich sein. Ursache bei Kolletschka war wohl ein verschmutztes Skalpell, mit dem er aus Versehen von einem Medizinstudenten in den Finger geschnitten wurde.  Das Skalpell war zuvor bei einer Autopsie verwendet worden. Offenbar wurden Stoffe von der Leiche in die Blutbahn von Kolletschka übertragen, die schließlich die Krankheit auslösten. Doch welcher Zusammenhang bestand zwischen Leichen und gebärenden Frauen in der Geburtsabteilung?

Semmelweis wurde bewusst, welcher elementare Unterschied zwischen der Ersten Abteilung und der Zweiten Abteilung bestand: In der ersten Abteilung wurden Medizinstudenten ausgebildet und ein wichtiger Teil ihrer Ausbildung war die Arbeit an Leichen. Wichtig war auch die Reihenfolge am Tag. Morgens gingen die Studenten immer in den Sezierraum und untersuchten die Leichen, am Nachmittag untersuchten sie die Patientinnen. Und das ohne besondere Schutzmaßnahmen oder Schutzkleidung. Sie wuschen sich nicht die Hände und trugen keine Handschuhe. Damit war der Zusammenhang klar. Kolletschka bekam die Krankheit durch ein verschmutztes Skalpell, das mit Leichenstoffen kontaminiert war. Die Medizinstudenten übertrugen das Kindbettfieber aus dem Sezierraum auf die Patientinnen in der Geburtsabteilung. Die Zweite Abteilung blieb davon verschont, da die Hebammen keinen Kontakt zu Leichen hatten. Aus diesen Erkenntnissen zog Semmelweis die richtigen Schlüsse und rettete so viele Frauen vor dem Tod.

Lebensrettende Maßnahmen – und kein Happy End
Semmelweis war klar, dass die Ärzte ihre Hände desinfizieren mussten. Natürlich nutzte er nicht diesen Begriff, aber ihm war klar, dass alle Leichenstoffe entfernt werden mussten. Er testete verschiedene Verfahren und führte schließlich eine fünfminütige Reinigung der Hände in Chlorkalklösung ein. Dieses Verfahren war kostengünstig und leicht umzusetzen, auch wenn es für die Ärzte eine große Umgewöhnung bedeutete. Die Ergebnisse waren allerdings mehr als überzeugend. Innerhalb von zwei Monaten nach der Einführung sank die Todesrate durch das Kindbettfieber um bis zu 90 %. Das Verfahren wirkte, die Übertragung der Krankheit auf die Patientinnen konnte stark eingedämmt werden.

Jetzt könnte die Geschichte mit einem Happy End und einem strahlenden Helden enden. Doch dem war leider nicht so. Das Verfahren hat sich damals nicht durchgesetzt. Semmelweis wurde nicht gefeiert, sondern abgelehnt und verkannt. Schließlich verließ er das Krankenhaus in Wien, um an einer Klinik in Budapest zu arbeiten. Wie konnte die medizinische Welt die Augen vor solch eindeutigen Ergebnissen verschließen?

Aus heutiger Sicht sind die von Semmelweis geforderten Maßnahmen nachvollziehbar und logisch. Das Kindbettfieber ist eine bakterielle Infektion. Wenn die Ärzte die Frauen untersuchten, übertrugen sie die Bakterien auf die Frauen und lösten damit das Kindbettfieber aus. Deshalb sind Hände-Desinfektion und das Tragen von Handschuhen geeignete Maßnahmen.

Um die Ablehnung zu verstehen, müssen wir uns die damaligen Erklärungen zur Entstehung von Krankheiten vor Augen führen. Die Keimtheorie sollte sich erst ungefähr 30 Jahre später durchsetzen. In der Zeit, als Semmelweis am Krankenhaus arbeitete, galten das Wetter, die Jahreszeiten, aber auch schlechte faulige Luft und weitere äußere Faktoren als Krankheitsauslöser. Wie sollte Händewaschen dagegen helfen? Für die Ärzte musste es vollkommen abstrus sein, dass jemand vorschlug, Hände zu waschen, um diese Ursachen zu bekämpfen. Auch wenn die Zahlen, die Semmelweis präsentierte, für seine Methode sprachen. Die Ärzte konnten nicht nachvollziehen, warum dieses Verfahren wirken sollte, und deshalb waren sie nicht bereit es umzusetzen.

15 Jahre nach Semmelweis Tod schlug der britische Arzt Edward Lister die Desinfektion von Wunden vor. Dieses Verfahren zeigte ebenso große Erfolge wie das von Semmelweis vorgeschlagene Verfahren, doch im Gegensatz dazu wurde das Lister-Verfahren sehr schnell akzeptiert. Zu diesem Zeitpunkt feierte nämlich die Keimtheorie ihren Durchbruch und die Ärzte konnten nachvollziehen, warum die Desinfektion von Wunden Sinn macht. Die Ärzte erhielten eine logische Erklärung für den Erfolg des Verfahrens und waren deswegen bereit, es umzusetzen. Dabei gelangte Semmelweis bereits Jahrzehnte vor Lister zu diesen Erkenntnissen. Doch Semmelweis fehlte die Keimtheorie, um sein Verfahren zu begründen und die Ärzte von der Wichtigkeit und von dem Sinn seines Verfahrens zu überzeugen. Er war einfach zu früh dran. Die Zeit war noch nicht reif.

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