BiOfunk (60): Die Erfindung der Pille

Die Pille – wohl kein anderes Medikament hatte in den letzten 50 Jahren einen größeren Einfluss auf unsere Gesellschaft. Dabei ist die Pille ein überaus untypisches Medikament. Sie bekämpft keine Krankheit, lindert keine Schmerzen. Und dennoch muss man sie täglich schlucken. Im BiOfunk betrachten wir die Entwicklung dieses Verhütungsmittels. Der Grundstein wurde vor fast 100 Jahren gelegt. Mit der Entdeckung und Erforschung der Sexualhormone

Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts waren Sex und Kinderkriegen untrennbar verbunden. Es gab keine sichere Verhütungsmethode. Dies sollte sich erst mit der Einführung der Pille ändern. Die Entwicklung der Pille ist eng mit der Erforschung von Sexualhormonen verbunden. Man verstand die Bedeutung dieser Hormone für die körperliche Entwicklung. Aber auch ihre vielfältigen Aufgaben bei der sexuellen Fortpflanzung. Es war schon lange bekannt, das Frauen während einer Schwangerschaft nicht erneut befruchtet werden können. Doch wie wird diese zeitweise Unfruchtbarkeit gesteuert?

Der Wissenschaftler Ludwig Haberlandt konnte im Tierversuch zeigen, dass die Eierstöcke daran beteiligt waren. Seine Hypothese: Die Eierstöcke von schwangeren Frauen geben einen Botenstoff, ein Hormon ab, dass für die zeitweise Unfruchtbarkeit sorgt. Es unterdrückt den Eisprung, damit kommen die  Spermien nicht ans Ziel und die Befruchtung bleibt aus.
Ende der 1920er Jahre wurde seine Hypothese bestätigt und das verantwortliche Hormon isoliert: Progesteron. Damit hatte man den Wirkstoff für ein Medikament zur Empfängnisverhütung. Die tägliche Einnahme von Progesteron sollte den Eisprung und damit eine Schwangerschaft verhindern. Doch bis zur Einführung der Pille vergingen noch 30 Jahre.

Progesteron gehört zur Gruppe der Steroidhormone, wie auch die anderen Sexualhormone. Steroidhormone ähneln sich in ihrer chemischen Struktur: Alle haben die gleiche 4-Ringstruktur und unterscheiden sich nur in den angefügten Seitenketten. In Pflanzen findet man ebenfalls Moleküle mit dieser charakteristischen 4-Ringstruktur, sog. Phytosterole. Russel Marker hatte folgende Idee. Phytosterole aus Pflanzen sind leicht in großer Menge zu gewinnen. Ausgehend von diesem Rohmaterial könnte man das pflanzliche Molekül zum menschlichen Progesteron umbauen. Zunächst entwickelte Marker dieses Umbau-Verfahren im Labor. Mit Erfolg. Er brauchte nur 5 Schritte, um aus dem pflanzlichen Rohstoff das Hormon Progesteron herzustellen. Jetzt benötigte er noch eine günstige Quelle für diesen Pflanzen-Rohstoff. Eine Pflanze, die das Phytosterol in großen Mengen bildet. Es begann eine Fleißarbeit. Er untersuchte über 400 Pflanzen – und wurde schließlich fündig. Eine mexikanische Yams-Wurzel, stellten den gewünschten Stoff in ausreichender Menge her. Eine große Hürde auf dem Weg zur Pille war genommen. 

Doch das wohl größte Problem auf dem Weg zu Pille war die Ablehnung durch verschiedene gesellschaftliche Gruppen. Konservative Politiker, die Kirchen, skeptische Ärzte und einige mehr. Um dem entgegenzutreten brauchte es wissenschaftliche Kompetenz, Idealismus, Durchhaltevermögen und Geld. Die Aktivistin Margaret Sanger brachte den Idealismus und das Durchhaltevermögen mit. Bereits seit Jahrzehnten setzte sie sich für die Belange und Rechte von Frauen ein. Ihre Mitstreiterin war die Millionärin Katharine McCormick. Beide verband die Vision eines billigen und einfach anzuwendenden Verhütungsmittels. McCormick stellte die finanziellen Mittel für dieses Herzensprojekt zur Verfügung. Sie  engagierten den Fortpflanzungsbiologen Gregory Pincus für die wissenschaftliche Umsetzung.

Innerhalb weniger Jahre entwickelte Pincus die Pille zum einsatzfähigen Medikament. Im Jahr 1961 kam die Pille schließlich in den USA auf den Markt, unter dem Produktnamen ENOVID. Kurze Zeit später wurde die Pille in Deutschland zugelassen. Wobei es noch einige Jahre dauerte, bis Frauen problemlos an das Medikament kamen. In den 1970er Jahren war es dann soweit, die Pille war allgemein verfügbar und die Nutzungszahlen stiegen steil an. Heute nimmt etwa jede dritte Frau im gebärfähigen Alter die Pille. 

Antibabypille

Weitere Informationen

Chemistry World: The birth of the pill

Pharmazeutische Zeitung: Perfektes Verhütungsmittel gesucht – Die bewegte Geschichte der Pille

Buchtipp: „Heilmittel, Partydroge, Teufelszeug“ von Thomas Hager

Buchtipp: „The Drug Hunters“ von Donald R. Kirsch


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