Warum die Sichelzellanämie vor allem in Afrika vorkommt und wie man sie heilen kann

Die Sichelzellanämie ist eine schwerwiegende Erbkrankheit. Das Krankheitsbild ist komplex und es kann zu vielfältigen Symptomen kommen wie z.B. Atemnot, Blutarmut, starke Schmerzen und Schwellungen am ganzen Körper, Anfälligkeit für Infektionen, hohes Schlaganfallrisiko, Organschäden, geringe Lebenserwartung; Charakteristisch für diese Krankheit sind die deformierten roten Blutkörperchen, auch Erythrozyten genannt. Sie sind in die Länge gezogen und haben häufig eine Sichelform. Gesunden Erythrozyten haben dagegen die Form von runden Scheiben.
In den USA sind ca. 100.000 Menschen an der Sichelzellanämie erkrankt und die meisten dieser Menschen sind Afroamerikaner. Ihre Vorfahren haben die Krankheit aus Afrika mitgebracht. Auch heute noch findet man in bestimmten Regionen Afrikas die meisten Sichelzellpatienten weltweit. Wie schauen uns gleich die Gründe hierfür an, zunächst beschäftigen wir uns aber mit der Vererbung der Sichelzellanämie.

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Über die Vererbung der Sichelzellanämie

Für die Experten: Die Sichelzellanämie ist eine homozygot-rezessive Erbkrankheit. Und jetzt die ausführliche Version. Das für die Krankheit verantwortliche Gen ist das beta-Globin-Gen. Es codiert für einen Bestandteil des Hämoglobins, des roten Blutfarbstoffs in den Erythrozyten. Eine Mutation in diesem Gen, genauer gesagt ein einzelner Basenaustausch, führt zur Herstellung eines veränderten beta-Globin-Proteins, was schließlich eine Sichelzellanämie auslösen kann. Das beta-Globin-Gen liegt auf dem Chromosom Nr. 11 und jeder Mensch hat zwei Versionen dieses Gens in seiner DNA. Warum? Weil jede Zelle einen doppelten Chromosomensatz enthält, also 2 x 23 Chromosomen. Jede Zelle enthält zweimal das Chromosom 11, eins kommt von der Mutter und eins vom Vater, Auf jedem Chromosom 11 ist ein beta-Globin-Gen, deshalb haben wir zwei beta-Globin-Gene in jeder Zelle. Auch jedes andere Gen kommt zweimal vor. Zurück zum Begriff homozygot-rezessiv. Das bedeutet, dass die Sichelzellanämie nur ausbricht, wenn ein Mensch zwei mutierte beta-Globin-Gene erhält, eins von der Mutter und eins vom Vater. Wenn er dagegen nur ein mutiertes und ein nicht-mutiertes beta-Globin-Gen erhält, ist er nicht krank, aber er kann das eine mutierte Gen an seine Nachkommen weitergeben und damit die Krankheit unter Umständen hervorrufen.

Zusammengefasst: Ein Mensch mit zwei mutierten beta-Globin-Genen hat die Sichelzellanämie mit all den schwerwiegenden Folgen. Ein Mensch mit einem mutierten und einem nicht mutierten beta-Globin-Gen ist nicht krank, kann aber die Krankheit weitergeben. Man nennt diese Personen deshalb Überträger oder Merkmalsträger. Sie tragen das krankmachende Gen in sich, sind aber nicht krank.

Wo die Sichelzellanämie vorkommt

In den USA gibt es wie erwähnt ca. 100.000 Menschen mit Sichelzellanämie, also mit zwei mutierten Genen. Dagegen gibt es 20-mal mehr Merkmalsträger, nämlich ca. 2.000.000. Sie tragen nur ein mutiertes Gen in sich. Ca. 10 % der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA sind Merkmalsträger. In Äquatorial-Afrika, also in der Gegend um den Äquator, sind bis zu 40 % der Menschen Merkmalsträger für die Sichelzellanämie. Und das hängt mit einer anderen, lebensgefährlichen Erkrankung zusammen.

Die Sichelzellanämie kommt in Mitteleuropa praktisch nicht vor. Das gilt für die meisten Weltregionen. Und dann gibt es andere Teile der Erde, wo die Krankheit sehr häufig vorkommt. In Äquatorial-Afrika ist jede dritte Person ein Überträger, kann die Krankheit also weitergeben, ohne selbst krank zu sein. Aus biologischer Sicht muss es den Personen einen Vorteil bringen, wenn sie in diesem Gegenden Überträger sind, also ein mutiertes beta-Globin-Gen enthalten. Genauer gesagt: Menschen mit dieser Eigenschaft hatten in der Vergangenheit bessere Überlebenschancen. Deshalb konnten sie sich erfolgreicher fortpflanzen und mehr Nachkommen erzeugen. Aber welchen biologischen Vorteil bietet ein mutiertes beta-Globin-Gen? Die Antwort lautet: einen gewissen Schutz vor Malaria. Auf diesen Zusammenhang kam man, als man feststellte, dass in Gegenden mit vielen Malaria-Fällen besonders viele Merkmalsträger für die Sichelzellanämie zu finden waren. Und wo viele Merkmalsträger sind, kommt es natürlich auch zu einer Häufung von Sichelzellpatienten. Doch wie hängen diese beide Krankheiten zusammen? 

Welche Rolle spielt die Malaria?

Die Sichelzellanämie ist eine Erbkrankheit, sie wird ausgelöst durch eine Mutation und man erhält sie von den Eltern von Geburt an. Malaria dagegen ist eine lebensgefährliche Infektionskrankheit. Jedes Jahr sterben 1,2 Millionen Menschen daran. Sie wird ausgelöst durch einzellige Parasiten, den sogenannten Plasmodien. Soweit zu den Unterschieden. Und doch gibt es eine entscheidende Schnittstelle zwischen den beiden Krankheiten: die Erythrozyten. Plasmodien, die Malaria-Erreger, vermehren sich in den Erythrozyten. Dies führt oft zur Zerstörung der Zellen und zur Freisetzung der Erreger. Die Folgen sind lebensbedrohliche Fieberschübe und Blutarmut. Erythrozyten sind ein zentraler Schauplatz bei der Malariaerkrankung – und bei der Sichelzellanämie. Bei dieser Krankheit sind diese Zellen schließlich deformiert und beschädigt. Und offenbar kein lebensfreundlicher Ort für die Malaria-Erreger. Sie können sich in Sichelzellen deutlich schlechter vermehren als in gesunden Erythrozyten. Menschen mit Sichelzellen im Blut haben deshalb einen gewissen Schutz vor der Malaria. Zumindest verläuft die Krankheit weniger aggressiv. Das gilt allerdings nur für Merkmalsträger, also Personen mit einem mutierten beta-Globin-Gen. Sie haben praktisch keine Krankheitsymptome. Dennoch finden sich in ihrem Blut Sichelzellen, natürlich bei weitem nicht so viele wie bei Patienten mit zwei mutierten Genen. Und diese Sichelzellen im Blut geben den Merkmalsträgern einen gewissen Schutz vor der Malaria. Auf Menschen mit Sichelzellanämie trifft dies leider nicht zu. Für sie ist eine zusätzliche Malaria-Erkrankung besonders gefährlich.

Jetzt können wir die Verteilung der Merkmalsträger und der Malaria-Erkrankungen erklären: Malaria ist eine lebensgefährliche Erkrankung. Menschen mit einem mutierten beta-Globin-Gen sind in gewissem Umfang vor der Malaria geschützt. Sie hatten in der Vergangenheit eine höhere Lebenserwartung, deshalb konnten sie sich erfolgreicher fortpflanzen. Als Folge sind bis zu 40 % der Menschen in Äquatorialafrika Merkmalsträger. Die Kehrseite ist das Risiko, Kinder mit Sichelzellanämie zu bekommen. Merkmalsträger sind zwar nicht krank, aber wenn zwei Merkmalsträger Kinder bekommen, besteht eine 25-prozentige Wahrscheinlichkeit für ein Kind mit Sichelzellanämie. Statistisch gesehen also 1 von 4 Kindern. In Nigeria haben z.B. 2 % der Neugeborenen die Sichelzellanämie, immerhin 150000 Kinder pro Jahr. Auf der einen Seite bietet die Mutation einen Schutz vor einer tödlichen Krankheit, auf der anderen Seite kann sie eine tödliche Krankheit auslösen. Aus biologischer Sicht hatte der Malaria-Schutz wohl einen so großen Nutzen, dass sich die Mutation in diesen Gegenden stark ausbreiten konnte. Und deshalb kommt die Sichelzellanämie in anderen Weltregionen praktisch nicht vor, da dort dieser Nutzen wegfällt. Ohne Malaria auch keine Sichelzellanämie. Mit dieser evolutionsbiologischen Betrachtung kann man die heutige Verteilung erklären. Betrachten wir abschließend, welche Therapieansätze es für die Sichelzellanämie gibt.

Gefährliche Therapie und ein hoffnungsvoller Ansatz

Patienten mit Sichelzellanämie bekommen regelmäßig Bluttransfusionen. Das mildert die Krankheitssymptome, da dadurch mehr normal geformte Erythrozyten im Blut vorkommen. Natürlich hat das nichts mit einer Heilung zu tun, denn die Sichelzellen werden nach wie vor gebildet. Ein Therapie-Ansatz zur Heilung der Erkrankung ist eine Knochenmarkstransplantation. Alle Blutzellen werden im Knochenmark gebildet. Bei dieser Therapie wird zunächst das Knochenmark des Patienten zerstört, es ist verantwortlich für die Bildung der Sichelzellen. Dann wird das Knochenmark von einem gesunden Spender übertragen. Danach ist der Patient geheilt, es werden keine Sichelzellen mehr hergestellt. Das klingt einfach, ist aber sehr kompliziert und gefährlich. Durch die Zerstörung des Knochenmarks wird zunächst auch das Immunsystem zerstört, der Patient ist also sehr anfällig für Infektionen. Außerdem ist es schwierig, einen passenden Spender zu finden und es besteht immer die Gefahr der Abstoßung:  dass das neue Knochenmark vom Körper nicht angenommen wird.

Besser wäre es, wenn man die Zellen des Patienten reparieren könnte. Dann könnte man ihn mit seinen eigenen Zellen therapieren und es gäbe keine Abstoßung. Ein Ansatzpunkt hier ist das fetale Hämoglobin. Diese Form des Hämoglobins kommt eigentlich nur im Embryo und bis kurz nach der Geburt vor. Es versorgt den Embryo im Mutterleib optimal mit Sauerstoff, nach der Geburt wird es nach und nach durch adultes Hämoglobin ersetzt. Dieses fetale Hämoglobin ist völlig normal, auch in Sichelzellpatienten. Im entsprechenden beta-Globin-Gen findet sich keine Mutation. Aber dieses fetale Gen wird bald nach der Geburt nicht mehr abgelesen. Nun zum Therapie-Ansatz: Man möchte erreichen, dass das fetale beta-Globin-Gen in den Patienten wieder eingeschaltet wird. Dies würde zur Bildung von fetalem Hämoglobin und zu gesunden Erythrozyten führen.  Offenbar funktioniert das fetale Hämoglobin genauso gut wie das adulte Hämoglobin. Es gibt bereits ein Medikament, das die Bildung des fetalen Hämoglobins anregen kann. Aktuell wird auch an einer gentechnischen Lösung geforscht. In Experimenten mit der Genschere CRISPR/Cas ist es im Labor gelungen, das fetale beta-Globin-Gen in Blutzellen dauerhaft zu aktivieren. Ein vielversprechender Ansatz für zukünftige Therapien.

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