BiOfunk (58): Paul Ehrlich und das erste Antibiotikum

Antibiotika sind Wunderwaffen im Kampf gegen Bakterien. Sie bekämpfen Bakterienzellen im Körper, ohne dabei die menschlichen Zellen zu schädigen. Dieses Konzept wurde von Paul Ehrlich vor über 100 Jahren erdacht. Und er war es auch, der das erste Antibiotikum entwickelte. Jahrzehnte vor der Entdeckung des Penicillins durch Alexander Fleming. Dieses erste Antibiotikum wirkte nur gegen eine einzige Krankheit, gegen die Syphilis. Dennoch war die Einführung des Medikaments ein medizinischer Durchbruch. Zu ersten Mal war es möglich, eine bakterielle Infektionskrankheit gezielt zu bekämpfen. Und wir betrachten noch ein weiteres Antibiotikum, das ebenfalls vor Penicillin zum Einsatz kam. Und Millionen von Menschenleben retteteEs geht um die vergessenen Antibiotika Salvarsan und Sulfonamid.

Bakterielle Infektionen waren über Jahrtausende hinweg eine ständige tödliche Bedrohung. Es gab kein wirksames Heilmittel zur Bekämpfung von Bakterien. Entweder das Immunsystem schaffte es, die Erreger zu vertreiben. Oder nicht, dann endeten bakterielle Infektionen nicht selten tödlich. Eine gezielte Bekämpfung war erst möglich, als man den Feind kannte. Die Erkenntnis, dass Bakterien, also mikroskopisch kleine Erreger, viele Krankheiten auslösen, setzte sich Ende des 19. Jahrhunderts durch. Nun wusste man wenigstens, wen man bekämpfen sollte.
Doch wie? Viele Wirkstoffe töten Bakterien ab. Doch sie schädigen auch die menschlichen Zellen. Wie konnte man Bakterienzellen im Körper bekämpfen, ohne die menschlichen Zellen zu schädigen? Der Mediziner und Forscher Paul Ehrlich entwickelte hierzu einen revolutionären Ansatz (Abb. 1). Er war Experte für die mikroskopische Untersuchung von Zellen und Geweben. Dabei wurden unterschiedlichste Farbstoffe eingesetzt, um die Zellen besser unter dem Mikroskop sichtbar zu machen. Ehrlich testete unermüdlich neue Farbstoffe. Dabei stellte er fest, dass bestimmte Farbstoffe nur bestimmte Zellen anfärbten (Abb. 2).

Paul Ehrlich Arbeitszimmer

Abb. 1: Paul Ehrlich im Labor

Abb. 2: Unterschiedlich angefärbte Bakterien

Diese Erkenntnis war sehr hilfreich für die Mikroskopie. Doch Paul Ehrlich sah noch weitere Einsatzgebiete. Man bräuchte einen Farbstoff, der nur Bakterien anfärbt, aber keine menschlichen Zellen. Ein solcher Farbstoff sollte nur an Bakterien binden. An diesen Farbstoff könnte man dann einen giftigen Wirkstoff koppeln. Und zwar einen Wirkstoff, der potentiell auch für menschliche Zellen schädlich ist. Durch die Kopplung an den Bakterienfarbstoff könnte dieser giftige Stoff dennoch eingesetzt. Denn er würde ja über den Farbstoff gezielt an Bakterien binden, nicht aber an menschliche Zellen. Das war eine geniale, geradezu revolutionäre Idee. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern versuchte er auf Basis dieser Überlegungen ein Medikament zu entwickeln. Als Wirkstoff wählte er das Arsen, ein hochgiftiges Element, sowohl für Bakterien als auch den Menschen. Dieses koppelte er an Farbstoffe und stellte eine Vielzahl chemischer Varianten her. Doch gegen welche Bakterien sollte das Medikament wirken, welche Krankheit sollte es bekämpfen? Ehrlich wählte eine der gefährlichsten Infektionskrankheiten der damaligen Zeit: Die Syphilis.

Vor gut 100 Jahren entwickelte Paul Ehrlich das erste Antibiotikum. Salvarsan wirkte zwar nur gegen eine Krankheit und hatte starke Nebenwirkungen; aber es war das erste Medikament gegen Bakterien überhaupt. Und es wurde durch eine rationale Forschungsstrategie gefunden. Mit der Idee, dass schädliche Zellen angegriffen werden, ohne dabei die normalen Körperzellen zu schädigen. Auch wenn der Farbstoff-basierte Ansatz danach wenige Erfolge zeigte. Dieses Grundkonzept gehört bis heute zu den Leitideen bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe.


Weitere Informationen

MDR: Hochgiftig, aber heilend – Salvarsan gilt als erstes Mittel gegen Syphilis

Pharmazeutische Zeitung: Von der Immunologie bis zu Salvarsan

Molecules: Drugs That Changed Society: History and Current Status of the Early Antibiotics: Salvarsan, Sulfonamides, and β-Lactams


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